Unsere Welt ist komplex und wird es bleiben, sagt Stephanie Borgert. Höchste Zeit Komplexität nicht länger als Gegner, sondern als Zustand zu betrachten, mit dem wir zurecht kommen müssen. Warum wir uns damit schwer tun und was uns helfen kann, verrät sie in ihrem Buch.
Kompliziert oder komplex? Ist das wichtig?
Ist ein Airbus kompliziert oder komplex? Und die Klimakrise? Wie würden Sie ein Fußballspiel beschreiben? Kompliziert oder komplex?
Wir kriegen da häufig etwas durcheinander. Das erlebt auch Stephanie Borgert. Als Komplexitätsforscherin ist sie darauf spezialisiert, Menschen und Organisationen zu helfen, die glauben im Chaos zu versinken. Für Borgert beginnt die Reise aus diesem vermeintlichen Chaos mit der richtigen Einschätzung der Situation. Kompliziert oder komplex lautet dabei die zentrale Frage. Warum das so wichtig ist? Weil wir komplexe Situationen nicht mit den Werkzeugen komplizierter Sachverhalte lösen können und umgekehrt. Verwechseln wir hier Grundlegendes, produzieren wir nur mehr vom Gleichen, aber keine wirklichen Lösungen.
Warum tun wir uns mit Komplexität so schwer?
Soweit so gut. Haben wir komplexe Situationen als solche erkannt, mögen wir sie trotzdem noch nicht. Warum tun wir uns mit Komplexität so schwer? Weil uns das Erklären, das Lösen und das Haken-drunter-machen so lieb ist. Das können wir. Darauf werden wir vom Grundschulalter an trainiert. Nach diesen Prinzipien arbeiten Unternehmen. Und darauf ist auch unser Gehirn programmiert:
„Unsere Kapazität, etwas bewusst zu verarbeiten, ist begrenzt, genau so wie die Kapazität unseres Gedächtnisses. Wir müssen also ökonomisch haushalten.“
Die daraus resultierende Ökostrategie sei ein „First-fit“ anstelle eines „Best-fit“-Abgleiches. Um den kapazitätsaufwendigen Entscheidungsprozess zu beschleunigen, greifen wir unbewusst nach dem ersten Passenden und mühen uns nicht länger damit ab, die beste Lösung zu finden. „Diese Ökostrategie hat Auswirkungen auf unser Denken und Handeln und sollte uns bewusst sein“, so Borgert. Um unser Bewusstsein dafür zu schärfen, behandelt die Autorin in ihrem Buch 9 Irrtümer, denen wir im Bezug auf Komplexität immer wieder aufsitzen. Jedem dieser Irrtümer widmet sie ein Kapitel. So schärft sie Seite für Seite das Bewusstsein der Leser/innen für eine neue, komplexe Realität.
Erkennen ist das eine, reagieren das andere
Beginnt Veränderung damit anders zu sehen und anders zu denken, ist es letzten Endes das Handeln, das einen Unterschied macht. Dass Stephanie Borgert Praktikerin ist, stellt sie auch am Ende des Buches unter Beweis. Sie entlässt ihre Leser nicht, ohne Konkretes mitzugeben: In den Kapiteln „Was sollten Sie lassen? Was sollten Sie tun?“ fasst sie zusammen, wie es in Richtung Zukunft gehen kann oder auch nicht. Dabei hat sie für ihre gesamte Leserschaft etwas dabei: Ob es nun darum geht, Rahmenbedingungen in Unternehmen neu zu gestalten oder sein persönliches Mindset einem update zu unterziehen – Borgert liefert keine wasserdichten „Wenn Sie das tun, geschieht jenes“-Rezepte, sondern viele Stoßrichtungen und Inspirationen.
MEIN FAZIT: Mich hat das Buch überrascht! Der Titel (vor allem der Untertitel „Warum wir ein neues Management brauchen“) und die Umschlaggestaltung ließen mich eine trockene und schwer verdauliche Lektüre erwarten. Völlig anders las sich das Buch! Mit ihrem sympathische Schreibstil und ihren zahlreichen Beispiele aus allen Bereichen des Lebens, schafft es Stephanie Borgert ein kompliziertes Thema verständlich aufzubereiten und es für verschiedenste Zielgruppen zugänglich zu machen. Ich empfehle das Buch aus diesem Grund nicht nur Führungskräften, die in der Lage sind Zusammenarbeit in Unternehmen zu gestalten, sondern auch jedem aufgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer, der über seine eigenen Grenzen hinausdenken und sich für eine neue Arbeitswelt fit machen möchte.